Unternehmer und Freiberufler
1. Scheinselbstständigkeit: Wann besteht ein Recht auf bezahlten Urlaub?
2. Leiharbeitnehmer: Zählen diese bei Massenentlassungen zu den regelmäßig Beschäftigten?
3. Muss unter der Rechnungsanschrift eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden?
4. Wann ist der Investitionsabzugsbetrag dem Sonderbetriebsvermögen zuzurechnen?
5. Welche Umsatzsteuer in einem Bestattungswald fällig wird
6. Darf ein Fachanwalt auf eine Rechtsmittelbelehrung vertrauen?
7. Gewerbepacht: Muss eine Kleinreparaturklausel eine Obergrenze für einzelne Reparaturen enthalten?
8. Wenn ein Anwalt eine Reise tut: Welche Kosten er sich ersetzen lassen kann
9. Wandkalender für zuverlässige Fristberechnung nicht ausreichend
GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer
1. Wann gelten sonstige Bezüge als zugeflossen?
2. Wann Gesellschaftereinlagen zu nachträglichen Anschaffungskosten führen können

 

Unternehmer und Freiberufler

 

  1. Scheinselbstständigkeit: Wann besteht ein Recht auf bezahlten Urlaub?

 Ist ein vermeintlich freier Mitarbeiter tatsächlich als Arbeitnehmer einzustufen, hat dieser alle Arbeitnehmerrechte. Dazu gehört insbesondere der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Im Fall der Scheinselbstständigkeit verfällt der Urlaubsanspruch auch nicht.

 

Hintergrund

Ein Mann in Großbritannien war 13 Jahre lang mit einem “Selbstständigen-Vertrag” auf Provisionsbasis für eine Firma tätig. Die Urlaubszeit wurde nicht bezahlt. Mit dem Ende seiner Tätigkeit forderte der Mann von der Firma eine Bezahlung für den genommenen und auch für den nicht genommenen Urlaub der vergangenen 13 Jahre. Das britische Arbeitsgericht stellte im Nachhinein die Arbeitnehmereigenschaft des Mannes fest. Damit hatte er grundsätzlich Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gehabt.

Fraglich war zum einen, ob der Mann seinen Urlaub erst hätte nehmen müssen, um feststellen zu lassen, ob er Anspruch auf Bezahlung hat, und zum anderen, ob seine Urlaubsansprüche möglicherweise mittlerweile verfallen waren. Deshalb rief das britische Gericht den Europäischen Gerichtshof an.

 Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die Ansprüche des Mannes auf bezahlten Urlaub nicht verfallen sind. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer ermöglichen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben. Besteht diese Möglichkeit nicht, kann der Arbeitnehmer nicht ausgeübte Urlaubsansprüche übertragen und ansammeln.

Im Fall der Scheinselbstständigkeit eines Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber nicht durch eine Begrenzung der Ansprüche geschützt werden. Vielmehr hat ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit gibt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die entsprechenden finanziellen Folgen zu tragen.

Das Unionsrecht verbietet es, dass der Arbeitnehmer seinen Jahresurlaub nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er für diesen Urlaub Anspruch auf Bezahlung hat. Dies ist weder mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf noch mit der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar. Der bezahlte Jahresurlaub ist ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union. Dessen Sinn und Zweck ist die Erholung des Arbeitnehmers. Die Unsicherheit darüber, ob der Urlaub bezahlt wird, ist aber durchaus ein Grund, diesen eben nicht zu nehmen, betonte der Europäische Gerichtshof.

 

  1. Leiharbeitnehmer: Zählen diese bei Massenentlassungen zu den regelmäßig Beschäftigten?

 Das Verfahren für Massenentlassungen gilt für Betriebe ab einer bestimmten Anzahl an Mitarbeitern und ab einer bestimmten Anzahl an Kündigungen. Nun muss der Europäische Gerichtshof entscheiden, ob bei Massenentlassungen die Leiharbeiter bei der Bestimmung der Betriebsgröße zu berücksichtigen sind.

 

Hintergrund

Ein Betreiber von mehreren Bildungseinrichtungen hatte mit dem Betriebsrat vereinbart, insgesamt 4 dieser Einrichtungen zu schließen. 12 Mitarbeitern hatte der Arbeitgeber innerhalb von 30 Tagen gekündigt. Eine Massenentlassungsanzeige erstattete er nicht.

Eine Mitarbeiterin hatte in ihrer Kündigungsschutzklage diesen Punkt gerügt. Ihrer Ansicht nach handelte es sich um eine anzeigenpflichtige Maßnahme. Denn es waren nicht mehr als 120 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen, sodass 12 Kündigungen dazu führten, dass der Arbeitgeber 10 % der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer entlassen hatte.

Das Kündigungsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber zu einer Massenentlassungsanzeige, “bevor er […] in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 % der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer […] innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt”.

Der beklagte Betreiber argumentierte dagegen, dass die eingesetzten Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl berücksichtigt werden müssen. Eine Massenentlassungsanzeige war deshalb seiner Meinung nach nicht nötig.

Entscheidung

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben hatte, fällte das Bundesarbeitsgericht kein Urteil. Vielmehr gaben die Richter die Fragen, die für eine Entscheidung des Falls wichtig sind, an den Europäischen Gerichtshof weiter. Denn das gesetzlich festgelegte Verfahren zur Massenentlassung basiert auf einer EU-Richtlinie.

Das Bundesarbeitsgericht möchte im sog. Vorabentscheidungsverfahren vom Europäischen Gerichtshof wissen,

  • ob zur Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb tätigen Arbeitnehmer auf die Anzahl der im Zeitpunkt der Entlassung bei gewöhnlichem Geschäftsgang beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt werden muss,
  • ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt werden.

 

  1. Muss unter der Rechnungsanschrift eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt werden?

 An der Anschrift, die der leistende Unternehmer in seinen Rechnungen angibt, muss er keine wirtschaftlichen Aktivitäten ausüben. Für den Vorsteuerabzug genügt damit auch ein Briefkastensitz.

 

Hintergrund

In dem einen Fall ging es um einen Kfz-Händler, der für von einer GmbH erworbene Fahrzeuge, die innergemeinschaftlich weitergeliefert wurden, den Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte. Das Finanzamt versagte u. a. den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der GmbH, weil diese unter der angegebenen Rechnungsanschrift keinen Sitz gehabt hatte. Unter der betreffenden Anschrift war die GmbH lediglich postalisch erreichbar gewesen. Geschäftliche Aktivitäten der GmbH hatten dort nicht stattgefunden.

In dem anderen Fall ging es ebenfalls um einen Kfz-Händler, der von einem Verkäufer Fahrzeuge gekauft hatte. Der Verkäufer stellte dem Kläger Rechnungen unter einer Adresse aus, bei der er jedoch kein Autohaus unterhielt. Denn die Autos vertrieb er ausschließlich im Onlinehandel. Das Finanzamt hatte dem Kläger den Vorsteuerabzug aus den Fahrzeugkäufen verweigert, weil die in den Rechnungen ausgewiesene Anschrift des leistenden Unternehmers tatsächlich nicht bestanden hatte und nur als Briefkastenadresse diente, an der die Post abgeholt wurde. Dort war sonst nichts vorhanden, was auf ein Unternehmen hindeutete.

Der Bundesfinanzhof wollte vom Europäischen Gerichtshof u. a. wissen, ob der Steuerpflichtige eine Anschrift auf der Rechnung angeben muss, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet. Sollte der Europäische Gerichtshof dies verneinen, fragte der Bundesfinanzhof, ob für die Angabe der Anschrift eine Briefkastenadresse ausreicht und welche Anschrift von einem Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen (z. B. des Internethandels) betreibt, das über kein Geschäftslokal verfügt, in der Rechnung anzugeben ist.

Darüber hinaus wollte der Bundesfinanzhof wissen, ob der Vorsteuerabzug gewährt werden kann, wenn der leistende Unternehmer in der von ihm über die Leistung ausgestellten Rechnung eine Anschrift angibt, unter der er zwar postalisch zu erreichen ist, wo er jedoch keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.

 Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass in Rechnungen zwar der vollständige Name und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers genannt werden muss. Aus der entsprechenden Regelung kann aber nicht geschlossen werden, dass hiermit zwingend der Ort der wirtschaftlichen Tätigkeit des leistenden Unternehmers gemeint ist. Erlaubt ist damit jede Art von Anschrift, einschließlich einer Briefkastenanschrift, soweit die Person unter dieser Anschrift erreichbar ist.

Der Besitz einer Rechnung mit den gesetzlich vorgesehenen Angaben stellt lediglich eine formelle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar. Sind die materiellen Anforderungen erfüllt, ist der Vorsteuerabzug zu gewähren, selbst wenn der Unternehmer bestimmten formellen Bedingungen nicht gerecht wird.

Somit ist es für die Ausübung des Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger nicht erforderlich, dass die wirtschaftliche Tätigkeit des leistenden Unternehmers unter der Anschrift ausgeübt wird, die in der von ihm ausgestellten Rechnung angegeben ist.

 

  1. Wann ist der Investitionsabzugsbetrag dem Sonderbetriebsvermögen zuzurechnen?

 Wird ein Investitionsabzugsbetrag im Sonderbetriebsvermögen in Anspruch genommen, ist er im Sonderbetriebsvermögen hinzuzurechnen. Bei Personengesellschaften wird dieser Betrag betriebsbezogen ermittelt, nicht personenbezogen.

 

Hintergrund

Der Kläger war Kommanditist einer GmbH & Co. KG. Diese bildete im Jahr 2008 in der Sonderbilanz des Klägers einen Investitionsabzugsbetrag von 81.000 EUR. Im Jahr 2010 wurde ein entsprechendes Fahrzeug angeschafft. Im Jahresabschluss 2010 aktivierte die KG das Fahrzeug in der Gesamthandsbilanz. Hierbei berücksichtigte sie den in 2008 gebildeten Investitionsabzugsbetrag, sodass sich für den Kläger ein Verlust von 83.000 EUR ergab.

Das Finanzamt folgte der Erklärung und stellte darüber hinaus verrechenbare Verluste fest. Der Kläger wandte sich gegen die Bescheide und machte insbesondere geltend, dass der Investitionsabzugsbetrag keine Auswirkungen auf die verrechenbaren Verluste haben darf und auf der Ebene der Gesamthand erfolgen muss. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet ab.

Entscheidung

Die Klage vor dem Finanzgericht hatte keinen Erfolg. Die Richter hielten es für zutreffend, dass der Investitionsabzugsbetrag im Sonderbetriebsvermögen des Klägers berücksichtigt wurde. Die Hinzurechnung muss im Sonderbetriebsbereich erfolgen, wenn die Bildung auch im Sonderbetriebsbereich erfolgte. So war dies hier im Jahr 2008 geschehen.

Unerheblich war, dass die Investition in der Gesamthandsbilanz erfolgte. Darüber hinaus hatte das Finanzamt den Hinzurechnungsbetrag bei der Berechnung des verrechenbaren Verlustes zutreffend nicht mit einbezogen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist das Sonderbilanzvermögen bei der Berechnung des maßgeblichen Kapitalkontos nicht mit einzubeziehen. Dies gilt auch für den Hinzurechnungsbetrag.

 

  1. Welche Umsatzsteuer in einem Bestattungswald fällig wird

 Ist das Einräumen von Liegerechten zur Einbringung von Urnen unter Begräbnisbäumen als Grundstücksvermietung umsatzsteuerfrei? Ja, sagt der Bundesfinanzhof. Das gilt zumindest dann, wenn abgrenzbare Parzellen überlassen werden.

 

Hintergrund

Der Grundstückseigentümer A übernahm für die Gemeinde die Einrichtung und den Betrieb eines Begräbniswaldes. Die Interessenten konnten ein oder mehrere Nutzungsrechte zur Beisetzung der Asche erwerben. Die entsprechenden Bäume und Parzellen waren geografisch eingemessen und abgegrenzt sowie mit einer Nummerierung bzw. Beschilderung versehen. A beriet nicht nur die Interessenten, sondern unterhielt Wald, Wege, Ruhebänke und Parkplätze.

Bestattungsleistungen bot A optional an, diese mussten nicht gemeinsam mit dem Liegerecht erworben werden. Sie wurden auch nur von wenigen Kunden in Anspruch genommen. A stellte bei der Vergabe eines Liegerechts die Nutzungsgebühr ohne Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung. Nur die Bestattungsleistungen behandelte er als steuerpflichtig.

Das Finanzamt wertete jedoch die Vergabe von Liegerechten und die Durchführung von Bestattungsleistungen als eine einheitliche umsatzsteuerpflichtige Leistung. Das Finanzgericht sah dagegen in der Vergabe von Liegerechten einerseits und der Bestattungsleistungen andererseits 2 eigenständig zu beurteilende Leistungen.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof sah die Voraussetzungen einer steuerfreien Grundstücksvermietung als gegeben an. Eine solche liegt vor, wenn dem Vertragspartner gegen Zahlung eines Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht eingeräumt wird, ein Grundstück in Besitz zu nehmen und andere von ihm auszuschließen.

Bei dem Grabstättennutzungsrecht handelt es sich um ein Sondernutzungsrecht. Dieses besteht darin, die Grabstätte für die Bestattung, die Grabanlage und Errichtung eines Grabmals unter Ausschluss Dritter zu nutzen. A überließ den Nutzungsberechtigten geografisch eingemessene, räumlich abgrenzbare und mit einer Nummerierung individualisierte Parzellen zur Einbringung von Urnen. Eine Nutzung durch Dritte war während der Nutzungszeit ausgeschlossen. Damit lag eine Grundstücksvermietung vor. Dem stand nicht entgegen, dass die Kunden mit der Anmietung religiöse Zwecke verbunden haben.

Die weiteren Leistungsbestandteile (Information über freie Grabstätten, Instandhaltung des Waldes und der Wege, Bereitstellung von Bänken, Führen eines elektronischen Registers, Einräumung von Parkmöglichkeiten) waren lediglich Nebenleistungen zur Vermietung. Denn sie stellten für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck dar, sondern waren das Mittel, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.

 

  1. Darf ein Fachanwalt auf eine Rechtsmittelbelehrung vertrauen?

 Die Bestimmung des Berufungsgerichts kann schwierig sein, da die Zuständigkeiten in den Bundesländern unterschiedlich geregelt sind. Deshalb darf auch ein Fachanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts über das zuständige Berufungsgericht korrekt ist.

 

Hintergrund

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte den früheren Verwalter auf die Herausgabe von Unterlagen verklagt. Nachdem das Amtsgericht Fulda die Klage abgewiesen hatte, wurde das Urteil dem Anwalt der Wohnungseigentümergemeinschaft zugestellt. In der Rechtsmittelbelehrung war das Landgericht Fulda als zuständiges Berufungsgericht genannt. Tatsächlich lag die Zuständigkeit jedoch beim Landgericht Frankfurt/Main, das zentrales Berufungsgericht für Berufungen gegen Urteile in Wohnungseigentumssachen ist.

Der Anwalt, ein Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, legte zunächst beim Landgericht Fulda gegen das Urteil Berufung ein. Nachdem das Gericht auf seine Unzuständigkeit hingewiesen hatte, legte er beim Landgericht Frankfurt Berufung ein. Da war die Berufungsfrist allerdings schon abgelaufen. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Landgericht Frankfurt zurück. Denn nach Ansicht der Frankfurter Richter war dem Anwalt ein vermeidbarer und nicht entschuldbarer Rechtsirrtum unterlaufen.

 Entscheidung

Der Bundesgerichtshof entschied dagegen, dass die falsche Rechtsmittelbelehrung dazu geführt hatte, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft die Berufungsfrist ohne ihr Verschulden versäumt hat. Daher ist ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Auch wenn eine Partei anwaltlich vertreten wird, darf sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass eine gerichtliche Belehrung zutreffend ist. Eine Ausnahme besteht dann, wenn die Belehrung offenkundig fehlerhaft ist. Wird in einer Rechtsmittelbelehrung nicht das richtige Berufungsgericht genannt, ist die Belehrung nicht offenkundig fehlerhaft.

Welches Berufungsgericht zuständig ist, hängt nämlich von 2 Unwägbarkeiten ab. Zum einen kann jedes Bundesland durch Rechtsverordnung bestimmen, dass ein anderes Landgericht als das am Sitz des Oberlandesgerichts ansässige für Berufungen in Wohnungseigentümergemeinschaft-Sachen zuständig sein soll. Zum anderen hängt die Zuständigkeit davon ab, ob es sich inhaltlich um eine Wohnungseigentümergemeinschaft-Sache handelt. Daher kann es selbst für einen Anwalt fraglich sein, welches Gericht für die Berufung zuständig ist. Das gilt auch dann, wenn dieser Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist.

 

  1. Gewerbepacht: Muss eine Kleinreparaturklausel eine Obergrenze für einzelne Reparaturen enthalten?

 Ist in einem gewerblichen Pachtvertrag eine Kleinreparaturklausel enthalten, ist diese auch dann wirksam, wenn keine Wertobergrenze für die einzelne Reparatur vereinbart ist.

 

Hintergrund

Die Verpächterin einer Gaststätte verlangte von der Pächterin, dass diese die Kosten für Reparaturen an der Heizungsanlage von 721 EUR übernimmt. Dabei berief sie sich auf eine Vereinbarung im Pachtvertrag, nach der der Pächter die Kosten für Kleinreparaturen insbesondere an Installationen für Elektrik, Wasser und Gas, der Heizungsanlage selbst tragen muss. In einem Jahr sollte jedoch nicht mehr als eine Monatspacht ohne Betriebskostenvorauszahlung aufgewendet werden müssen.

Die monatliche Pacht betrug 1.500 EUR, dazu kamen noch 500 EUR für die an die Gaststätte angeschlossene Wohnung.

Die Pächterin ist der Ansicht, dass die Kleinreparaturklausel im Pachtvertrag unwirksam ist, weil sie keine ausdrückliche Kostenobergrenze für die einzelne Reparatur enthält.

 Entscheidung

Das Gericht entschied zugunsten der Verpächterin, dass die Pächterin die Reparaturkosten erstatten muss. Denn das ergab sich aus der Kleinreparaturklausel im Pachtvertrag.

Diese Klausel ist auch wirksam. Dass für die einzelne Reparatur keine Obergrenze genannt wird, bis zu der die Pächterin die Reparaturkosten übernehmen muss, steht der Wirksamkeit nicht entgegen. Lediglich bei Mietverträgen über Wohnraum ist eine solche Obergrenze Voraussetzung dafür, dass eine Kleinreparaturklausel wirksam ist.

Schließlich ist auch die für den Zeitraum von einem Jahr festgesetzte Grenze von maximal einer Monatspacht der Höhe nach nicht zu beanstanden.

 

  1. Wenn ein Anwalt eine Reise tut: Welche Kosten er sich ersetzen lassen kann

 Ein auswärtiger Rechtsanwalt kann seine Kosten für die Teilnahme an einem Verhandlungstermin auch dann erstattet bekommen, wenn seine Rechtsanwaltsgesellschaft am Gerichtsort eine weitere Kanzlei betreibt.

 

Hintergrund

Ein Bonner Rechtsanwalt vertrat einen Mandanten in einem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, an dem er als Beigeladener beteiligt war.

Nachdem die Klage zurückgenommen worden und die Reise nach Leipzig nicht mehr erforderlich war, stellte der Mandant für seinen Anwalt einen Kostenfestsetzungsantrag und machte damit Stornierungskosten eines Flugs von Köln nach Leipzig und zurück sowie einer Hotelunterkunft geltend. Diese Kosten wurden von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle jedoch nicht berücksichtigt. Dagegen wandte sich der Mandant des Anwalts mit einer Erinnerung.

 Entscheidung

Vor dem Bundesverwaltungsgericht hatte der Rechtsbehelf der Erinnerung größtenteils Erfolg. Reisekosten, die im Rahmen einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entstehen, können grundsätzlich erstattet werden, soweit sie notwendig waren. Auch ist jeder Beteiligte verpflichtet, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Darüber hinaus muss es sich um Auslagen handeln, die nicht mit den Gebühren abgegolten sind. Diese Voraussetzungen lagen nach Ansicht der Richter hier vor.

Zwar unterhielt die Kanzlei des Bonner Anwalts auch am Gerichtsort Leipzig eine Kanzlei. Bei der Niederlassung einer als Partnerschaft organisierten Anwaltsgesellschaft handelte es sich aber nicht um eine Zweigstelle, sondern um eine selbstständige Rechtsanwaltskanzlei. Der Bonner Anwalt musste sich also nicht darauf verweisen lassen, dass ein Leipziger Kollege den Fall hätte übernehmen können. Damit trugen die Richter dem persönlichen Kontakt und dem Vertrauensverhältnis zwischen der Partei und dem konkret ausgewählten ortsnahen Rechtsanwalt Rechnung. Außerdem arbeitete im Leipziger Büro der Kanzlei weder ein Fachanwalt für Verwaltungsrecht noch ein Rechtsanwalt, der sich mit der rechtlichen Lage im konkreten Fall auskannte.

Die Stornierungskosten der Flugreise akzeptierte das Bundesverwaltungsgericht der Höhe nach. Nur bei den Stornierungskosten des Hotelzimmers machte es Abzüge.

 

  1. Wandkalender für zuverlässige Fristberechnung nicht ausreichend

 Ein Anwalt kann nicht auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hoffen, wenn der zur Berechnung von Fristen verwendete Wandkalender nur schlecht lesbar ist und deshalb eine Frist falsch berechnet wird.

 

Hintergrund

Nachdem der Kläger mit seiner Klage vor dem Landgericht Amberg gescheitert war, legte sein Anwalt beim Oberlandesgericht Nürnberg Berufung ein. Bei der Berechnung der Frist hatte sich der Anwalt jedoch vertan. Auf dem für die Fristberechnungen herangezogenen Wandkalender war übersehen worden, dass Mariä Himmelfahrt zwar in Amberg ein Feiertag ist, nicht jedoch in Nürnberg. Deshalb war die Berufungsfrist um einen Tag überschritten worden.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht Nürnberg hielt den Wandkalender für ungeeignet, um daraus Fristen zu berechnen.

 Entscheidung

Und auch vor dem Bundesgerichtshof hatte der Anwalt keinen Erfolg. Die obersten Bundesrichter hielten den Wandkalender ebenfalls nicht geeignet für Fristenberechnungen.

Der Hinweis in dem Kalender, dass die Feiertagsregelung für Mariä Himmelfahrt nur in Teilen von Bayern gilt, war nicht hinreichend deutlich. Er bestand nämlich nur aus einem winzigen, im Durchmesser maximal einen halben Millimeter großen Sternchen. Der Feiertag war in etwa 2 mm großen Buchstaben namentlich ausgeschrieben und farblich markiert. Der Text, auf den das Sternchen verweist, nämlich der Hinweis, dass der Feiertag nicht bayernweit gilt, stand unten auf dem Kalenderblatt und war ebenfalls nur etwa 2 mm groß. Ein solch unauffälliger Hinweis, insbesondere auf einem Wandkalender, der üblicherweise aus einer größeren Entfernung gelesen wird, konnte deshalb leicht übersehen werden. Daraus ergab sich das erhebliche Risiko, dass bei der Fristberechnung eine Orientierung allein anhand der farblichen Hervorhebung des Tages als Feiertag erfolgte, was sich dann ja auch verwirklicht hat.

 

GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer

 

  1. Wann gelten sonstige Bezüge als zugeflossen?

 Arbeitslohn, der nicht laufend gezahlt wird, gilt im Zeitpunkt des Zuflusses als bezogen. Auf diese sonstigen Bezüge ist der 10-Tage-Grundsatz nicht anwendbar.

 

Hintergrund

Für G, Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, wurden im Dezember 2010 eine Entgeltumwandlung und der Abschluss einer Direktversicherung vereinbart. Den Tarifbeitrag für 1.12.2010 bis 30.11.2011 behielt die GmbH mit dem Dezemberlohn 2010 des G ein. Die Versicherung zog den Beitrag am 7.1.2011 vom Geschäftskonto der GmbH ein, den Beitrag für den Folgezeitraum 1.12.2011 bis 30.11.2012 buchte sie im Dezember 2011 ab.

Das Finanzamt sah für das Jahr 2011 Beiträge von insgesamt 8.880 EUR als Arbeitslohn an. Davon waren 4.440 EUR steuerfrei, der Restbetrag steuerpflichtig.

Das Finanzgericht wertete die Beitragszahlungen als regelmäßig wiederkehrende Einnahme, sodass der Anfang Januar 2011 gezahlte Beitrag für 1.12.2010 bis 30.11.2011 als in 2010 zugeflossen gilt.

 Entscheidung

Der Bundesfinanzhof widersprach dem Finanzgericht und entschied, dass die Beiträge der GmbH im Jahr 2011 nur i. H. v. 4.440 EUR steuerfrei waren. Der übersteigende Betrag ist steuerpflichtiger Arbeitslohn.

Bei den Beitragszahlungen handelt sich nicht um laufenden Arbeitslohn, sondern um einen sonstigen Bezug. Denn die GmbH entrichtete die Beiträge nicht fortlaufend, sondern nur einmal jährlich. Das gilt auch dann, wenn sich die Zahlungen in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholen. Sonstige Bezüge werden in dem Kalenderjahr bezogen, in dem sie dem Arbeitnehmer zufließen. Zuflusszeitpunkt ist der Tag der Erfüllung des Anspruchs des Arbeitnehmers. Bei Beiträgen zu einer Direktversicherung ist das der Zeitpunkt, zu dem der Versicherungsbeitrag an die Versicherung gezahlt wird. Denn mit dieser Leistung stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die entsprechenden Mittel zur Verfügung. Die GmbH leistete den Beitrag für Dezember 2010 bis November 2011 am 7.1.2011, da an diesem Tag das Geschäftskonto der GmbH belastet wurde.

Eine Ausnahme vom Zuflussprinzip, wie es sie für regelmäßig wiederkehrende Einnahmen gibt, ist für sonstige Bezüge nicht vorgesehen.

 

  1. Wann Gesellschaftereinlagen zu nachträglichen Anschaffungskosten führen können

 Führen Zuzahlungen, die der Gesellschafter in das Eigenkapital leistet und die als Kapitalrücklage auszuweisen sind, in jedem Fall zu nachträglichen Anschaffungskosten? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Bundesfinanzhof.

 

Hintergrund

X war zusammen mit seinen 3 Brüdern L, D und F an der vom Vater V im Jahr 1999 gegründeten A-GmbH beteiligt. In diesem Jahr hatte X auch eine Bürgschaft für Verbindlichkeiten der A-GmbH gegenüber einer Bank übernommen. Der Bank stand darüber hinaus eine Grundschuld auf einem der Mutter M gehörenden Grundstück als Sicherheit zu. In den Jahren 2008 und 2009 erzielte die A-GmbH ausschließlich Verluste. Nachdem Ende 2009 der Geschäftsbetrieb eingestellt worden war, veräußerte sie ihr Vermögen an die I-GmbH. An dieser waren X, D und ein Dritter zu je 1/3 beteiligt. Durch den Tod der M gingen deren Anteil an der A-GmbH und das Grundstück auf X und seine Brüder als Erbengemeinschaft zu gleichen Teilen über.

Im Jahr 2010 leisteten X und seine 3 Brüder Zuzahlungen in jeweils gleicher Höhe in die Kapitalrücklage der A-GmbH, um eine Liquidation zu vermeiden. Nachdem die Bank Ende 2010 einen Teilverzicht auf ihre Forderungen in Aussicht gestellt hatte, zahlte die A-GmbH an die Bank 275.000 EUR. X und seine Brüder veräußerten im Dezember 2010 ihre Anteile für 0 EUR an die I-GmbH.

X machte für das Jahr 2010 einen Veräußerungsverlust von rund 80.000 EUR geltend. Diesen errechnete er aus einem anteiligen Verlust der Stammeinlage und nachträglichen Anschaffungskosten aus der Kapitalzuführung von rund 70.000. Das Finanzamt erkannte jedoch nur einen Veräußerungsverlust von rund 40.000 EUR an. Diesen ermittelte es, indem es die von allen Gesellschaftern geltend gemachten Anschaffungskosten von insgesamt 330.000 EUR um die zugunsten der Bank eingegangene Grundschuld minderte und den verbleibenden Betrag von rund 155.000 EUR auf X und die Brüder verteilte.

Entscheidung

Das Finanzgericht wies die Klage ab, ließ aber die Revision zu.

Der Bundesfinanzhof nimmt das Revisionsverfahren als Gelegenheit, sich grundlegend mit der Frage zu befassen, ob zum einen Zuzahlungen, die der Gesellschafter in das Eigenkapital leistet und die bei der Kapitalgesellschaft als Kapitalrücklage auszuweisen sind, bei diesem in jedem Fall und zu jedem Zeitpunkt zu nachträglichen Anschaffungskosten führen und deshalb im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind. Zum anderen ist zu klären, ob solche Zahlungen einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten darstellen können.

Der Bundesfinanzhof hält es für notwendig, das Bundesfinanzministerium am Revisionsverfahren zu beteiligen, und hat dieses zum Beitritt aufgefordert.