Mandantenbrief Steuern Privatpersonen Februar 2015

 

Privatbereich

1.

Ausbildungskosten: Belege sammeln, vom Radiergummi bis zum Auslandspraktikum

2.

Auslandsstudium: Wann gibt es Kindergeld?

3.

Scheidung: Ex-Schwiegereltern können geschenktes Haus auch nach vielen Jahren zurückfordern

4.

Antrag auf Realsplitting ist nicht immer ein rückwirkendes Ereignis

5.

Kinderbetreuungskosten: Vorläufigkeit endet

6.

Lohnsteuerfreibetrag: Neuer Antrag nötig

7.

Arbeitgeberwechsel: Doppelter Urlaub ist ausgeschlossen

8.

Wie wird die Mütterrente besteuert?

9.

Promotion: Kindergeld in Gefahr!

10.

Schmerzensgeldanspruch bei Mobbing: Nur im Ausnahmefall verwirkt

11.

Riester-Rente für Beamte: Einwilligung für Übermittlung von Besoldungsdaten rechtzeitig erteilen!

12.

Verletzung von Ermittlungspflichten: Finanzamt darf Bescheid nicht ändern. Oder doch?

13.

Rollstuhlfahrer prallt gegen Fußgänger: Schadensersatz?

14.

Kindesunterhalt: Wann ist der Unterhaltsanspruch bei verschwiegener Vaterschaft verwirkt?

 

 

 

1.          Ausbildungskosten: Belege sammeln, vom Radiergummi bis zum Auslandspraktikum

 

Der Bundesfinanzhof beurteilt die Kosten der Erstausbildung und des Erststudiums als Werbungskosten und legt dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob der im Einkommensteuergesetz geregelte Ausschluss des Werbungskostenabzugs verfassungsgemäß ist.

 

Im Streitfall geht es um die Ausbildung zum Berufspiloten. Die Problematik betrifft weit darüber hinaus allgemein die Frage, ob die Kosten einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums

·         lediglich, wie gesetzlich vorgesehen, beschränkt im Ausgabejahr als Sonderausgaben abziehbar sind oder

·         ob es sich um unbeschränkt abziehbare Werbungskosten handelt, sodass entsprechende Verluste in die Folgejahre vorgetragen werden können.

 

X absolvierte von 2005 bis 2007 die Ausbildung zum Flugzeugführer und hat seit Oktober 2007 eine entsprechende Anstellung. Für die Streitjahre (2005 – 2007) beantragte er die Feststellung verbleibender Verlustvorträge. In 2005/2006 erzielte er keine Einnahmen. Für diese Jahre machte er Ausbildungskosten von (rund) 2.000 EUR/28.000 EUR geltend. Für 2007 erklärte er Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit von 4.000 EUR und Werbungskosten in Form von Ausbildungskosten von 44.000 EUR sowie weitere Werbungskosten von 4.000 EUR.

 

Das Finanzamt lehnte die Verlustfeststellung ab und setzte die Einkommensteuer jeweils auf 0 EUR fest. Es handele sich um eine erstmalige Berufsausbildung, für die die Aufwendungen lediglich als Sonderausgaben mit dem Höchstbetrag von 4.000 EUR berücksichtigt werden könnten. Auch das Finanzgericht verneinte die Einordnung als Werbungskosten und wies die Klage ab.

 

Entscheidung
Der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dass der Ausschluss des Werbungskostenabzugs für die Kosten der Erstausbildung verfassungswidrig ist. Er hält § 9 Abs. 6 Einkommensteuergesetz für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Nach dieser Bestimmung sind Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten, wenn diese Ausbildung nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Darin sieht der Bundesfinanzhof einen Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit.

Die Argumentation des Bundesfinanzhofs geht dahin, dass die Aufwendungen für die Ausbildung zu einem Beruf als notwendige Voraussetzung für die nachfolgende Berufstätigkeit beruflich veranlasst sind und folglich als Werbungskosten berücksichtigt werden müssen. Das Abzugsverbot widerspricht damit dem Veranlassungsprinzip. Es handelt sich nicht um eine aus Gründen der Typisierung und Vereinfachung hinzunehmende Pauschalregelung.

Den Anforderungen genügt der Sonderausgabenabzug nicht. Denn er wirkt sich in dem Jahr, in dem die Ausbildungskosten entstehen, regelmäßig nicht aus, da während der Ausbildung typischerweise noch keine eigenen Einkünfte erzielt werden. Nach dem vom Bundesfinanzhof vertretenen Werbungskostenabzug wären die Ausbildungskosten im Wege der Verlustberücksichtigung in den nachfolgenden Jahren des Berufseinstiegs mit den dann erzielten Einkünften verrechenbar.

 

2.          Auslandsstudium: Wann gibt es Kindergeld?

 

Streit um das Kindergeld gibt es immer wieder bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten eines Kindes, z. B. für ein Studium. In diesem Fall behält ein Kind seinen Wohnsitz im Inland nur dann bei, wenn es eine Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzt.

 

Hintergrund
Die Tochter absolvierte nach dem Abitur ab August 2008 ein einjähriges Au-Pair-Programm in den USA, inklusive Sprachkurs von 10 Stunden pro Woche. Seit September 2009 studiert die Tochter in New York; der Entschluss zum Studium in den USA fiel während des Au-Pair-Aufenthalts. Der Abschluss des Studiums war für 2014 geplant.

Der Tochter stand im elterlichen Wohnhaus ihr ehemaliges Kinderzimmer zur Verfügung. Sie hielt sich dort im Jahr 2009 für 2 Wochen, im Jahr 2010 für 4 Tage und im Jahr 2011 einmal für 7 und ein zweites Mal für 5 Wochen auf. Weitere 3 Aufenthalte waren von Dezember 2011 bis Januar 2012 und Februar 2012 bis April 2012 von 2 bis 4 Wochen.

Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergelds ab Januar 2009 auf. Begründung: Die Tochter habe ab diesem Zeitpunkt keinen Wohnsitz mehr im Inland unterhalten. Das Finanzgericht gab den Eltern Recht und entschied, dass die Tochter nach der Gesamtwürdigung aller Umstände ihren Wohnsitz im Inland beibehalten habe.

 

Entscheidung
Ein Kind muss im Inland bzw. im EU-/EWR-Ausland einen Wohnsitz haben, damit die Eltern Kindergeld bekommen. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder einem EU-/EWR-Mitgliedstaat haben, wird also kein Kindergeld gewährt.

Sind Kinder zur Ausbildung auswärtig untergebracht sind, reicht es für einen Inlandswohnsitz erst einmal nicht aus, dass in der elterlichen Wohnung weiterhin ein Zimmer zur Verfügung steht. Das Kind muss vielmehr die elterliche Wohnung nach wie vor als eigene betrachten. Die Gesamtumstände müssen nach der Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind die Wohnung innehat, um sie als solche zu nutzen.

Der Dauer und der Häufigkeit der Inlandsaufenthalte sind dabei von erheblicher Bedeutung. Ist der Auslandsaufenthalt auf mehr als ein Jahr angelegt, reicht ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Urlaubs-, Besuchs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, nicht aus, um einen inländischen Wohnsitz anzunehmen.

Kinder, die mehrere Jahre im Ausland studieren, behalten ihren Wohnsitz bei den Eltern daher nur dann bei, wenn sie das zur Verfügung stehende Zimmer in ausbildungsfreien Zeiten auch nutzen. Erforderlich ist, dass die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland verbracht werden und es sich um Inlandsaufenthalte handelt, die Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen. Dabei bleiben Inlandsaufenthalte außer Betracht, die vor Beginn und nach Ende des Studiums liegen. Nicht ausreichend sind bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nur kurze Besuche, also von lediglich 2 bis 3 Wochen pro Jahr.

 

3.          Scheidung: Ex-Schwiegereltern können geschenktes Haus auch nach vielen Jahren zurückfordern

 

Verschenken Eltern eine Immobilie an ihr Schwiegerkind, kann diese bei einer Scheidung wieder zurückgefordert werden. Dies ist sogar bis zu einem Zeitraum von 10 Jahren nach rechtskräftiger Scheidung möglich. Voraussetzung: Die Schenkung ist im Hinblick auf den Fortbestand der Ehe erfolgt und ein Festhalten an der Schenkung ist für die Schwiegereltern unzumutbar.

 

Hintergrund
Die Ehepartner waren seit 1988 miteinander verheiratet und bewohnten zusammen mit ihren beiden Kindern die Erdgeschosswohnung in dem Haus, das dem Vater der Ehefrau gehörte.

Im Jahr 1993 übertrug der Vater den Ehepartnern das Eigentum an dem Haus (jeweils hälftiger Miteigentumsanteil). Er behielt sich jedoch ein Wohnrecht vor. 2004 trennte sich das Ehepaar und der Ehemann zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. 2006 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden.

2009 beantragte der Ex-Mann die Teilungsversteigerung des Hauses. Seine Ex-Frau verlangte daraufhin im Jahr 2010 die Rückübertragung des hälftigen Grundstücksanteils aus abgetretenem Recht ihres Vaters.

Die beiden Vorinstanzen wiesen die Klage ab, da die Verjährungsfrist in diesem Fall 3 Jahre betrage und die Ansprüche somit mit Ablauf des 31.12.2009 verjährt seien.

 

Entscheidung
Dies sah der Bundesgerichtshof jedoch anders, er entschied zugunsten des Schwiegervaters. Die Begründung:

·         Beschenken Schwiegereltern ein Schwiegerkind wegen der Erwartung, dass die Ehe fortbesteht und die Schenkung auch dem eigenen Kind dauerhaft zugutekommt, kann im Fall einer Scheidung die Schenkung rückabgewickelt werden, und zwar nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage.

·         Darüber hinaus muss ein Festhalten an der Schenkung für die Schwiegereltern unzumutbar sein.

Jedoch kann in der Regel nur ein Ausgleich in Geld verlangt werden, so der Bundesgerichtshof. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist auch der tatsächlich geschenkte Gegenstand zurück zu gewähren.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen – auch der Rückübertragungsanspruch nicht verjährt. Die wegen Störung der Geschäftsgrundlage vorzunehmende Vertragsanpassung einer Grundstücksschenkung von Schwiegereltern ist grundstücksbezogen; die Verjährungsfrist bei Rechten an einem Grundstück betragen 10 Jahre.

 

4.          Antrag auf Realsplitting ist nicht immer ein rückwirkendes Ereignis

 

Wird der Antrag auf Abzug von Unterhaltsleistungen im Wege des Realsplittings erst nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides gestellt, lag die Zustimmungserklärung des Unterhaltsempfängers aber bereits vor Eintritt der Bestandskraft vor, ist kein rückwirkendes Ereignis gegeben.

 

Hintergrund
Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten können als Sonderausgaben abgezogen werden. Voraussetzung ist, dass der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt. Die Zustimmung verlangt das Gesetz, weil der Unterhaltsempfänger im Fall des Sonderausgabenabzugs die Unterhaltsleistungen versteuern muss. Dieses einvernehmliche Wahlrecht kann bis zur Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide ausgeübt werden. Gehen Antrag und Zustimmung erst nach der Bestandskraft der Bescheide beim Finanzamt ein, können die Steuerfestsetzungen geändert werden, weil ein rückwirkendes Ereignis eingetreten ist, also ein Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die gegebene Zustimmung bindet den Unterhaltsempfänger auf Dauer; sie kann jedoch vor Beginn des Kalenderjahres, für das sie erstmals nicht mehr gelten soll, widerrufen werden.

 

Der Fall 
Der Ehemann lebte seit mehreren Jahren getrennt und leistete an seine Ehefrau monatlichen Barunterhalt. Diesen hatte das Finanzamt in den Jahren 2003 bis 2006 antragsgemäß und mit Zustimmung der Ehefrau als Sonderausgaben des Ehemanns berücksichtigt. Für das Jahr 2007 ließ der Ehemann die Einkommensteuererklärung von seinem Steuerberater vorbereiten. Dabei wurden weder in den elektronisch übermittelten Daten noch in den von S übersandten Anlagen zur Einkommensteuererklärung in Papierform Unterhaltsleistungen als Sonderausgaben geltend gemacht. Das Finanzamt führte die Veranlagung erklärungsgemäß durch. Der Bescheid wurde nicht angefochten. Nach Bestandskraft des Bescheids beantragte der Steuerberater für den Ehemann die Änderung des Bescheids, um die Unterhaltsleistungen doch noch geltend machen zu können. Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag ab. Die Klage beim Finanzgericht hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidung      
Der Bundesfinanzhof gab dem Finanzamt Recht und entschied, dass hier eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids wegen eines rückwirkenden Ereignisses nicht möglich ist.

Die Begründung: Zwar kann ein Steuerbescheid geändert werden, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Es muss jedoch ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen. Ein solches Bedürfnis für eine Rückwirkung, die die Bestandskraft durchbricht, lag im Streitfall nicht vor. Da die dauerhaft wirkende Zustimmung der Ehefrau als Unterhaltsempfängerin bereits vor der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids vorlag, hatte es allein der Ehemann als Unterhaltsleistender in der Hand, den Antrag auf Realsplitting rechtzeitig vor Eintritt der Bestandskraft zu stellen.

 

5.          Kinderbetreuungskosten: Vorläufigkeit endet

 

Wurden in der Steuererklärung Kinderbetreuungskosten geltend gemacht, ergingen die entsprechenden Steuerbescheide bisher vorläufig. Da die Verfassungsmäßigkeit des beschränkten Abzugs geklärt ist, wird die Anweisung zur vorläufigen Steuerfestsetzung aufgehoben.

 

Der Bundesfinanzhof hatte in einigen Urteilen entschieden, dass die für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2011 geltenden Regelungen zur beschränkten Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten verfassungsgemäß sind. Die gegen ein Urteil des Bundesfinanzhofs gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.

Deshalb haben die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder beschlossen, die in dieser Angelegenheit bisher bestehende Anweisung zur vorläufigen Steuerfestsetzung aufzuheben.

Darüber hinaus werden die Einsprüche und Änderungsanträge, die die Frage der Verfassungsmäßigkeit der für die Veranlagungszeiträume 2006 bis 2011 geltenden Regelungen zu den Kinderbetreuungskosten betreffen, durch Allgemeinverfügung zurückgewiesen.

 

6.          Lohnsteuerfreibetrag: Neuer Antrag nötig

 

Arbeitnehmer müssen einen Lohnsteuerfreibetrag für das Jahr 2015 neu beantragen, sonst kann dieser bei der Entgeltabrechnung nicht berücksichtigt werden. Denn für den Arbeitgeber sind immer die in der ELStAM-Datenbank hinterlegten Daten maßgeblich.

 

Welche Freibeträge neu beantragt werden müssen
Für die persönlichen Freibeträge gilt im Lohnsteuerverfahren 2015 weiterhin die jahresbezogene Betrachtungsweise. Die Berücksichtigung dieser Freibeträge setzt deshalb einen neuen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung beim Finanzamt voraus.

Freibeträge für den Lohnsteuerabzug, z. B. für Werbungskosten aufgrund Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte, müssen in jedem Fall neu beantragt werden. Entsprechend gilt dies für Arbeitnehmer mit Steuerklasse II und Kindern ab 18 Jahren und für das Faktorverfahren bei Doppelverdiener-Ehegatten.

Ausnahmen: Die Pauschbeträge für behinderte Menschen und Hinterbliebene werden automatisch ohne neuen Antrag bis zu dem nachgewiesenen Gültigkeitsende berücksichtigt, ebenso wie mehrjährig gewährte Kinderfreibetragszähler für volljährige Kinder.

Ein Antrag auf Eintragung eines Freibetrags wegen erhöhter Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnlicher Belastungen kann nur dann gestellt werden, wenn die Aufwendungen oder die abziehbaren Beträge insgesamt die Antragsgrenze von 600 EUR überschreiten. Bei den Werbungkosten muss darüber hinaus der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 1.000 EUR überschritten sein.

 

Antragsfrist
Der Antrag auf Lohnsteuerermäßigung 2015 kann bis 30.11.2015 gestellt werden. Wird der Antrag spätestens im Januar 2015 gestellt, werden die Freibeträge noch rückwirkend zum 1.1.2015 gewährt. Danach gilt, dass der Jahresfreibetrag auf die noch verbleibenden Lohnzahlungszeiträume des Kalenderjahres gleichmäßig verteilt wird – jeweils mit Wirkung vom Beginn des Kalendermonats an, der auf die Antragstellung folgt.

 

Vereinfachter Antrag       
Die Arbeitnehmer, bei denen sich der bisher eingetragene Freibetrag im Vergleich zu den Vorjahren nicht geändert hat, können einen vereinfachten Antrag auf Lohnsteuerermäßigung stellen. Wer erstmals einen Lohnsteuerfreibetrag beantragt, muss den 4-seitigen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung verwenden.

 

ELStAM 
Ist beim Arbeitnehmer ein Freibetrag zu berücksichtigen, speichert das Finanzamt dies als Lohnsteuerabzugsmerkmal in der ELStAM-Datenbank. Der Arbeitgeber erhält die geänderten Lohnsteuerabzugsmerkmale (einschließlich der Freibeträge) mit der nächsten monatlichen Änderungsliste übermittelt und muss diese beim Lohnsteuerabzug zwingend anwenden.

 

7.          Arbeitgeberwechsel: Doppelter Urlaub ist ausgeschlossen

 

Bei einem Arbeitgeberwechsel während des Kalenderjahrs geht nicht genommener Urlaub für den Arbeitnehmer nicht verloren. Allerdings muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass der frühere Arbeitgeber den Urlaubsanspruch noch nicht erfüllt hat. Das entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht.

 

Hintergrund
Der Anspruch auf Urlaub besteht nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Der Arbeitnehmer kann diese Voraussetzung im neuen Arbeitsverhältnis grundsätzlich durch die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung seines früheren Arbeitgebers nachweisen. Dieser ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.

 

Der Fall
Im aktuellen Fall war der Mitarbeiter in einem Lebensmittelmarkt beschäftigt. Nachdem das Arbeitsverhältnis beendet wurde, verlangte der Arbeitnehmer, den Urlaub abzugelten. Der Arbeitgeber lehnte jedoch mit der Begründung ab, dem Beschäftigten sei bereits von seinem früheren Arbeitgeber für das Kalenderjahr Urlaub gewährt worden. Eine Urlaubsbescheinigung seines früheren Arbeitgebers hatte der Mitarbeiter jedoch nicht vorgelegt.

Das Landesarbeitsgericht hatte mögliche Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers abgelehnt. Sie seien, so die Begründung der Richter, aufgrund der im Formulararbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfrist von „mindestens 3 Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs“ verfallen.

 

Entscheidung
Dem widersprach das Bundesarbeitsgericht und entschied, dass die Ausschlussfrist gewahrt sei. Es verwies die Sache zurück an das Landesarbeitsgericht. Hier muss nun der Arbeitnehmer nachweisen, dass sein früherer Arbeitgeber den Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr nicht – vollständig oder teilweise – erfüllt oder abgegolten hat. Gelinge dies, urteilte das Bundesarbeitsgericht, habe der neue Arbeitgeber den Urlaub abzugelten, soweit er den Urlaubsanspruch nicht selbst erfüllt hat.

 

8.          Wie wird die Mütterrente besteuert?

 

Seit dem 1.7.2014 erhalten Mütter oder Väter, deren Kinder vor 1992 geboren sind, für die Erziehung jedes Kindes einen zusätzlichen Entgeltpunkt. Dieser führt zu einer entsprechenden Rentenerhöhung. Das ist die sog. Mütterrente. Da Renten zumindest teilweise steuerpflichtig sind, stellt sich die Frage, wie die Mütterrente besteuert wird.

 

Die Finanzverwaltung ist der Ansicht: Bei der neuen Mütterrente handelt es sich nicht um eine regelmäßige Rentenanpassung. Vielmehr liegt eine außerordentliche Neufestsetzung des Jahresbetrags der Rente vor.

Deshalb wird der steuerfreie Teil der Rente, d. h. der Rentenfreibetrag, neu berechnet, wenn die Mütterrente bezogen wird. Der bisherige steuerfreie Teil der Rente wird um den steuerfreien Teil der Mütterrente gekürzt. Die Mütterrente wird also nicht in vollem Umfang in die Besteuerung mit einbezogen.

 

Beispiel
Eine Rentnerin bezieht seit 2005 ihre Rente. Der Besteuerungsanteil dieser Rente liegt deshalb bei 50 %. Daher beträgt auch der Besteuerungsanteil der Mütterrente 50 %.

 

9.          Promotion: Kindergeld in Gefahr!

 

Wer promovieren möchte, arbeitet in vielen Fällen zeitgleich als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Universität. In Sachen Kindergeld heißt es jetzt aufgepasst! Denn nach einem Urteil des Finanzgerichts Münster liegt in diesen Fällen keine Ausbildung mehr vor – und damit entfällt auch der Anspruch auf Kindergeld.

 

Hintergrund
Für volljährige Kinder erhalten die Eltern nur noch dann Kindergeld, wenn ein Berücksichtigungsgrund vorliegt. Das kann eine Berufsausbildung sein oder das Warten auf einen Ausbildungsplatz. Auch Kinder mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder einem abgeschlossenen Studium können noch bis zum 25. Lebensjahr Kindergeld beanspruchen, z. B. wenn sie sich in einer weiteren Ausbildung oder der Übergangszeit zwischen 2 Ausbildungen befinden. Gehen sie dabei einer Erwerbstätigkeit nach, gibt es einige Voraussetzungen, die beachtet werden müssen:

·         Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit darf 20 Stunden nicht überschreiten.

·         Es handelt sich um Einkommen aus einem Ausbildungsverhältnis (Ausbildungsvergütung).

·         Es liegt Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung vor (450-Euro-Job).

 

Der Fall
In dem vorliegenden Streitfall hatte der Sohn nach Abschluss seines Lehramtsstudiums mit dem ersten Staatsexamen eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität angenommen. Daneben ging er einem Promotionsvorhaben nach; für dieses sollte er laut Anstellungsvertrag ausreichend Zeit bekommen.

Daraufhin wurde die Kindergeldfestsetzung von der Familienkasse aufgehoben. Dagegen wandten sich die Eltern mit ihrer Klage. Ihre Begründung: Mit Blick auf das Berufsziel Hochschullehrer stellt die Tätigkeit für die Universität ein Ausbildungsdienstverhältnis dar. Dafür sind sowohl der Abschluss der Promotion als auch die Dozententätigkeit zwingend erforderlich.

 

Entscheidung      
Das Finanzgericht Münster folgte dieser Begründung nicht und wies die Klage ab. Es ist der Ansicht, dass sich der Sohn zwar aufgrund des Promotionsvorhabens in einer Berufsausbildung befunden hat. Trotzdem sind die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nicht mehr erfüllt. Mit dem Staatsexamen hat der Sohn bereits eine Erstausbildung abgeschlossen. Darüber hinaus ist die Tätigkeit an der Universität mit einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden verbunden.

Die Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter stellt außerdem kein Ausbildungsdienstverhältnis dar, weil kein hinreichender Zusammenhang zum Promotionsvorhaben besteht. Denn es reicht nach Ansicht der Münsteraner Richter nicht aus, dass der Arbeitgeber die Promotion fördert und die Tätigkeit für das Ausbildungsziel nützlich ist. Vielmehr muss eine enge inhaltliche Verflechtung zwischen Ausbildung und Erwerbstätigkeit bestehen, die über reine Synergieeffekte hinausgeht. Dass der Sohn eine Laufbahn als Hochschullehrer anstrebt, ist für die Bewertung des Falls nicht relevant, da es alleine auf die konkrete Ausgestaltung des Dienstverhältnisses ankommt.

 

10.     Schmerzensgeldanspruch bei Mobbing: Nur im Ausnahmefall verwirkt

 

Wird ein Mitarbeiter von seinem Vorgesetzten gemobbt, hat er Anspruch auf Schmerzensgeld. Dieser Anspruch besteht nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch dann noch, wenn der Mitarbeiter erst 2 Jahre nach dem Mobbing-Vorgang Klage erhebt.

 

Hintergrund
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Recht verwirkt, wenn 2 Faktoren zusammenspielen: ein Zeitmoment und ein Umstandsmoment.

·                 Für das Zeitmoment muss der Anspruchsberechtigte sein Recht längere Zeit nicht ausgeübt haben.

·         Das Umstandsmoment liegt vor, wenn der Gegner darauf vertraut hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen. Ihm ist es, berücksichtigt man alle Umstände, nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten, den Anspruch zu erfüllen.

 

Eine Verwirkung ist also nur unter ganz besonderen Umständen zu bejahen.

 

Der Fall 
Im entschiedenen Fall hatte ein Beschäftigter mindestens 10.000 EUR Schmerzensgeld von seinem früheren Vorgesetzten verlangt. Er stützt sich dabei auf Vorfälle in den Jahren 2006 bis 2008, die er als Isolierung, Herabwürdigung und Schikane wertet. Der letzte Vorgang soll am 8.2.2008 stattgefunden haben. Der Mitarbeiter war 2007 an 52 Tagen, 2008 an 216 Tagen und 2009 durchgängig bis August arbeitsunfähig, u. a. wegen Depression. Die Klage ging Ende Dezember 2010 bei Gericht ein.

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg lehnte einen Schmerzensgeldanspruch des Mitarbeiters ab. Begründung: Dieser ist verwirkt, da der Mitarbeiter erst 2 Jahre nach dem letzten Mobbing-Vorgang Klage eingereicht hat. Es entspricht regelmäßig dem Interesse des Anspruchsgegners, sich zeitnah gegen Mobbingvorwürfe zur Wehr setzen zu können, insbesondere um eine effektive Rechtsverteidigung zu ermöglichen, argumentierte das Landesarbeitsgericht. Daher können Schmerzensgeldansprüche wegen Mobbing vor Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist verwirken.

 

Entscheidung      
Mit dieser Entscheidung war das Bundesarbeitsgericht nicht einverstanden. Es hob das Urteil auf und wies die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht zurück.

Im vorliegenden Mobbing-Fall kommt eine Verwirkung nicht infrage. Die Begründung der Bundesrichter: Das Institut der Verwirkung, das durch Richterrecht geschaffen wurde, darf nicht dazu führen, dass die gesetzliche Verjährung – in diesem Fall 3 Jahre – unterlaufen wird. Das bloße Zuwarten oder die Untätigkeit des Mitarbeiters genügt nicht, damit der Schmerzensgeldanspruch verwirkt.

Das abwartende Verhalten ist – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – auch nicht treuwidrig. Eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung der Ansprüche besteht hier nicht.

In der Gesamtabwägung darf nicht auf eventuelle Beweisschwierigkeiten auf Seiten des Anspruchsgegners abgestellt werden. Die effektive Rechtsverteidigung des Vorgesetzten war jedoch ein wesentliches Argument, das – laut Landesarbeitsgericht – für eine Verwirkung sprach.

 

11.     Riester-Rente für Beamte: Einwilligung für Übermittlung von Besoldungsdaten rechtzeitig erteilen!

 

Beamte erhalten nur dann die Altersvorsorgezulage auf ihrem Riester-Vertrag gutgeschrieben, wenn sie in die Übermittlung ihrer Besoldungsdaten einwilligen. Dies verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz, urteilte der Bundesfinanzhof.

 

Hintergrund
Eine Beamtin hatte seit 2002 einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag. Auf diesen zahlte sie in den Streitjahren 2004 bis 2006 die für die Höchstzulage erforderlichen Eigenbeiträge ein.

Die Zulage beantragte die Beamtin jeweils im Folgejahr über den Anbieter des Altersvorsorgevertrags. Die ZfA (Deutschen Rentenversicherung, Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen) ließ die Zulagen zunächst dem Vertrag gutschreiben. Die Beamtin hatte allerdings die gegenüber der Besoldungsstelle abzugebende Einwilligung in die Übermittlung der Besoldungsdaten an die ZfA nicht erteilt. Dieses Erfordernis der Einwilligung gilt nur für Beamte und den gleichgestellten Personenkreis. Bei Rentenversicherungspflichtigen genügt der Abschluss eines zertifizierten Vertrags.

Die Einwilligung wurde erst 2009 vorgelegt. Unter Hinweis auf die Zweijahresfrist für die Abgabe der Einverständniserklärung lehnte die ZfA die Festsetzung der Zulagen ab. Diese Frist galt aufgrund von Verwaltungsanweisungen schon für das Jahr 2004; ab 2005 wurde die Frist gesetzlich festgeschrieben.

Das Finanzgericht schloss sich der Auffassung der ZfA an und wies die Klage ab.

 

Entscheidung
Der Bundesfinanzhof wies für die Jahre 2005 und 2006 die Revision zurück. Er war wie die ZfA und das Finanzgericht der Meinung, dass der Beamtin wegen Versäumung der ab 2005 im Gesetz ausdrücklich geregelten Zweijahresfrist kein Anspruch auf die Zulage zusteht. Da sie die Hinweise in dem Antragsvordruck nicht beachtet hatte, konnte ihr eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Diese hatte sie im Übrigen nicht innerhalb eines Monats, nachdem sie von dem Einwilligungserfordernis erfuhr, beantragt.

Die Differenzierung zwischen Beamten und Pflichtversicherten verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz und ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Ein automatisierter Datenabgleich ist wegen der autonomen Datenverarbeitung durch die öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht möglich.

Für das Jahr 2004 bejaht der Bundesfinanzhof allerdings den Anspruch der Beamtin auf die Zulage. Die in diesem Jahr gültige gesetzliche Vorschrift sah keine Frist für die Einwilligungserklärung vor. Insbesondere gab es 2004 keine gesetzlichen Hinweispflichten für die Anbieter auf das Erfordernis der Einverständniserklärung; darüber hinaus waren die Hinweise in den amtlichen Antragsvordrucken unzureichend.

 

12.     Verletzung von Ermittlungspflichten: Finanzamt darf Bescheid nicht ändern. Oder doch?

 

Das Finanzamt darf einen Änderungsbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen wegen neuer Tatsachen grundsätzlich nicht erlassen, wenn ihm die Tatsache infolge Verletzung von Ermittlungspflichten verborgen geblieben ist. Das verbietet der Grundsatz von Treu und Glauben. Ausnahme: Die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen wiegt schwerer.

 

Hintergrund
Der Kläger erklärte in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 Schuldzinsen in Höhe von 34.073 EUR. Beigefügt war eine Abrechnung der Bank vom 6.4.2009 für das 1. Quartal 2009. Da in dieser Abrechnung auch Zinsen für die „Vorperiode (2008)“ von mehr als 34.522 EUR ausgewiesen waren, berücksichtigte das Finanzamt die Schuldzinsen wie beantragt.

Bei der Veranlagung für 2009 stellte sich aufgrund einer Zinsbescheinigung der Bank vom 6.12.2011 heraus, dass der Kläger im Jahr 2008 tatsächlich nur Schuldzinsen in Höhe von 16.081 EUR gezahlt hatte. Das Finanzamt änderte den bereits bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 2008 wegen einer neuen Tatsache zuungunsten des Klägers. Der Kläger ist der Ansicht, das Finanzamt hätte wegen der Verletzung der Amtsermittlungspflicht den Bescheid nicht korrigieren dürfen.

 

Entscheidung
Das Finanzgericht schloss sich dem Finanzamt an und hat entschieden, dass der Bescheid für 2008 geändert werden durfte. Der Grundsatz von Treu und Glauben steht dem nicht entgegen.

Es liegt zum einen eine neue Tatsache vor. Bei Erlass des ursprünglichen Bescheids waren die tatsächlich im Jahr 2008 gezahlten Zinsen dem zuständigen Sachbearbeiter nicht bekannt.

Zum anderen liegt keine die Änderung ausschließende Pflichtverletzung vor. Zwar hätte der Sachbearbeiter angesichts der Verzugszins-/Gebührenabrechnung für das 1. Quartal 2009 bei etwas Überlegung auch zu dem Schluss kommen können, dass Verzugszinsen in dem dort bezeichneten Zeitraum nur entstanden sein können, wenn Zahlungen im Jahr 2008 nicht vollständig erfolgt sind. Diese Pflichtverletzung wurde jedoch durch die Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers überlagert.

 

13.     Rollstuhlfahrer prallt gegen Fußgänger: Schadensersatz?

 

Ist ein Rollstuhlfahrer schadensersatzpflichtig, weil er in einer Fußgängerzone mit einem Mann zusammengestoßen ist? Das Oberlandesgericht Frankfurt sagt nein.

 

Hintergrund
Der Vorwurf des verletzten Fußgängers: Der Rollstuhlfahrer ist zu schnell gefahren und hat sich mit zu wenig Abstand an ihm vorbeidrängeln wollen. Deshalb ist es zum Zusammenstoß gekommen, was beim Fußgänger eine Schulterluxation, Knochenbrüche und eine Thoraxprellung zur Folge hatte.

Der Fußgänger verklagte den Rollstuhlfahrer auf Schadenersatz und Schmerzensgeld.

 

Entscheidung
Das Oberlandesgericht Frankfurt wollte dieser Argumentation nicht folgen und wies die Berufung des verletzten Fußgängers ab; er hat keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Die Begründung: Die Höchstgeschwindigkeit des Rollstuhls liegt bauartbedingt bei nur 6 km/h. Deshalb kann von einer zu hohen, nicht angemessenen Geschwindigkeit des Rollstuhlfahrers nicht ausgegangen werden. Darüber hinaus liegt die Geschwindigkeit, an die sich Rollstuhlfahrer halten müssen, die am Fußgängerverkehr teilnehmen, bei 4 bis 7 km/h.

Auch die Tatsache, dass es sich bei dem verletzten Fußgänger um einen großen, kräftigen Mann handelte, lässt nicht zwangsläufig auf eine Nachlässigkeit des Rollstuhlfahrers schließen. Es ist nämlich durchaus vorstellbar, dass der Mann mit einem Fuß unglücklich am Fahrstuhl hängen geblieben und deshalb zu Fall gekommen ist.

 

14.     Kindesunterhalt: Wann ist der Unterhaltsanspruch bei verschwiegener Vaterschaft verwirkt?

 

Fordert eine Mutter vom leiblichen Vater ihres Kindes keinen Kindesunterhalt und verschweigt sie gegenüber dem Kind seine Abstammung, kann der Anspruch auf Zahlung von Unterhalt für die Vergangenheit verwirkt sein, wenn der leibliche Vater nicht mit der nachträglichen Inanspruchnahme rechnen musste.

 

Hintergrund
Ein Sohn, geboren im November 1988, verlangte von seinem leiblichen Vater rückwirkend Unterhalt. Seit seiner Geburt lebte der Sohn im Haushalt seiner Mutter und sah deren Ehemann als seinen Vater an. Im Januar 2013 wurde er von der Mutter über seine wahre Abstammung in Kenntnis gesetzt.

Der leibliche Vater lehnte jegliche Unterhaltszahlung ab, da er mit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen nicht hat rechnen müssen. Die Kindesmutter hatte nie Unterhalt verlangt.

 

Entscheidung
Weder beim Familiengericht noch beim Oberlandesgericht in zweiter Instanz hatte der Sohn mit seiner Klage Erfolg.

Zwar gibt es eine gesetzliche Regelung, die eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung, dass Unterhalt für die Vergangenheit ohne vorherige Mahnung des Unterhaltsschuldners grundsätzlich nicht verlangt werden kann, festlegt. Diese bestimmt, dass ein Kind grundsätzlich von seinem Vater Unterhalt auch für den Zeitraum vor Feststellung der Vaterschaft verlangen kann.

Ein Unterhaltsanspruch ist allerdings verwirkt, wenn

·         der Berechtigte diesen über längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen ist (Zeitmoment) und

·         der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieses Recht auch zukünftig nicht geltend gemacht wird (Umstandsmoment).

 

Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Oberlandesgerichts auf die Zeit vor Anerkennung einer Vaterschaft anwendbar.

Im vorliegenden Fall hatte die Mutter in der Zeit der Minderjährigkeit des Sohns die klare Entscheidung getroffen, keinen Unterhalt gegen den Kindesvater geltend zu machen. Diese Entscheidung der Kindesmutter muss der Sohn sich zurechnen lassen, da die Kindesmutter während der Minderjährigkeit seine alleinige gesetzliche Vertreterin gewesen sei. Aufgrund dieses Verhaltens der Mutter habe der leibliche Vater zu Recht annehmen dürfen, dass von ihm kein Unterhalt verlangt wird. Bis Januar 2013 ist er zu keinem Zeitpunkt mit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen konfrontiert worden; er genießt insoweit Vertrauensschutz. Die Ansprüche des Sohns auf Unterhalt bis zu seiner Volljährigkeit sind deshalb verwirkt.

Und das Oberlandesgericht setzte noch einen drauf: Auch für die Zeit ab Volljährigkeit gestand es dem Sohn keinen Unterhaltsanspruch zu. Der Sohn hatte nach Abschluss der Schule nicht mit der für einen Unterhaltsanspruch gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener Zeit eine Berufsausbildung begonnen und beendet; und das ohne plausible und nachvollziehbare Gründe. Deshalb sah das Gericht keine Veranlassung, dem Sohn für die Zeit ab der Volljährigkeit Unterhalt zu gewähren.